Mein Vater pflegte einen verwunschenen Garten. Den Großteil des Jahres verbrachte er dort in seinen Beeten, zwischen Hecken, Sträuchern und kleinen Bäumen. Sein Nachbar drängte regelmäßig danach, den Zaun, der die beiden Gärten voneinander trennte, abzureißen, um für beide Häuser eine größere Grünfläche zu schaffen…
Wie mein Vater diesen Wunsch immer wieder neu ablehnte, weiss ich nicht. Aber der Gartenzaun steht noch immer und das Verhältnis der Beiden war stets friedlich …
Können Sie sich gut abgrenzen? Gelingt es Ihnen, den Menschen in Ihrer Nähe klar Ihre Grenzen zu vermitteln und sich gleichzeitig in Frieden zu fühlen? Oder fühlen Sie sich oft von anderen überrumpelt, xyz zu tun bzw. in Ihren Grenzen nicht respektiert?
Eine gelungene Abgrenzung ist ein echtes Übungsfeld (oh ja, ich weiss, wovon ich rede 😊) und nicht in ein paar Zeilen zu erfassen.
Aber es gibt eine Betrachtungsweise, die mir hilft:
Statt uns über andere zu ärgern, die vermeintlich unsere Grenzen verletzen, lassen Sie uns einen Schritt zurück gehen. Zu uns zurück.
Denn die meisten Grenzverletzungen begehen wir uns selbst gegenüber.
Wir überschreiten immer wieder unsere eigenen Grenzen. Wir arbeiten zu lange, obwohl wir erschöpft sind. Wir essen zu viel, auch wenn wir längst satt sind. Wir bleiben zu lange in Gesellschaft anderer, obwohl uns Ruhe guttäte …
Oder wir lassen zu, dass jemand anderes uns zu nahekommt und unsere Grenzen überschreitet.
Nur: Häufig haben wir diese Grenze, die wir oder andere gerade überschritten haben, zuvor gar nicht wahrgenommen. Wir wussten nicht einmal, dass sie dort irgendwo gelegen haben muss.
Aber wie können wir etwas einhalten bzw. schützen, wovon wir nicht wissen, wo es sich befindet? Rolf Sellin (Autor und Coach) schreibt in seinem Buch „Bis hierher und nicht weiter“:
„Grenzen setzen erfolgt im ersten Schritt über die Wahrnehmung“.
Und Wahrnehmung geschieht über unseren Körper. Unser Körper weiß, wo unsere Grenzen liegen. Sind wir mit ihm in einem gesunden Kontakt, spüren wir, was richtig für uns ist und was nicht.
Gehen wir über unsere Grenzen, fühlen wir uns erschöpft. Überfordern wir uns immerfort, meldet sich unser Körper mit unterschiedlichen Symptomen: Eine Verspannung in den Schultern oder im Rücken, eine schmerzende Körperstelle …
Verletzen andere unsere Grenzen, spüren wir das auch im Körper. Fühlen wir uns bedrängt, bemerken wir dies im Bauch, nehmen eine Enge in der Brust oder im Hals wahr ….
Häufig überhören wir die Signale unseres Körpers. Oder wir ignorieren sie. Denn unser Denken, unser Verstand, fordert uns immer wieder auf, über unsere Grenzen zu gehen. Wir sind aufgewachsen mit Sätzen wie: „Stell Dich nicht so an, andere schaffen das auch“ oder „Was Du heute kannst besorgen, verschiebe nicht auf morgen“. „Erwachsen zu werden“ bedeutet leider häufig, zu funktionieren. Weiterzumachen.
Und auch unser Herz hilft uns nicht, uns abzugrenzen. Ganz im Gegenteil. Unser Herz möchte sich mit anderen Menschen verbinden und sie glücklich machen. Unser Herz verleitet uns, anderen zu Liebe unsere eigenen Bedürfnisse zu übergehen.
Nur unser Körper zeigt uns verlässlich unsere Grenzen auf.
Um unsere Grenzen wieder besser zu spüren, können wir üben, wieder bewusster mit unserem Körper in Kontakt zu treten. Dazu reicht es, einige Male am Tag in den Körper hinein zu hören.
Fühlen Sie zum Beispiel jetzt Ihren Atem und Ihren Herzschlag? Können Sie Ihre Füße auf dem Boden wahrnehmen? Fühlen Sie eine Spannung im Körper? Beobachten Sie, was in Ihrem Körper vor sich geht.
Durch das „in den Körper hineinfühlen“, zentrieren wir uns. Wir sammeln unsere Aufmerksamkeit in uns und zerstreuen sie nicht mehr im Außen. Wir werden ruhiger und die Außenwelt tritt zurück. Wir gewinnen an Energie, werden präsenter und stärker. Und dadurch abgegrenzter.
In diesem „bei uns sein“, können wir unsere Grenzen spüren. Wir fühlen, was in diesem Moment stimmig für uns ist. Im Kontakt zu uns selbst, können wir dann entscheiden, ob wir unsere Grenzen einhalten möchten oder auch mal nicht. Oder ob wir bewusst über unsere Grenzen hinausgehen möchten.
Probieren Sie’s einfach aus. Erfühlen Sie wieder mehr mit Ihrem Körper, was für Sie passt und was nicht. Wo Ihre Grenzen liegen. Und versuchen Sie den Signalen Ihres Körpers immer mehr zu vertrauen.
Es grüßt Sie herzlich
Anna
PS: Lesen Sie auch „Wie wir an unseren Grenzen wachsen“