Bücher, Zeitungen und Magazine: Alle berichten plötzlich über „Hochsensibilität“. Psychologische Berater und Therapeuten bieten die spezielle Behandlung hochsensibler Menschen an. Yoga und Meditation sollen helfen, den Alltag zu meistern.
Aber was bedeutet das überhaupt, hochsensibel zu sein?
Moderne Zeiten
Sehr sensible Menschen gab es schon immer. Hektik, Stress und ein hohes Lebenstempo haben in den vergangenen Jahrzehnten jedoch drastisch zugenommen. Die Auswirkung: Ermüdung, Depression und Burn-out.
Die permanente Überforderung und Reizüberflutung kann bei jedem Menschen zu einer solchen Diagnose führen. Deshalb ist ein achtsamer Lebensstil für jeden empfehlenswert – ob hochsensibel oder nicht.
Doch was ist, wenn einige unter uns Menschen viel stärker unter Reizüberflutung, erhöhtem Lebenstempo und Negativität leiden? Dann kann dies an einer neurologischen Besonderheit liegen, die Fachleute als „Hochsensibilität“ bezeichnen.
Und so scheint es, als würde „Hochsensibilität“ durch unseren aktuellen Lebensstil nun ans Licht gebracht.
Individuelle Wahrnehmung
Jeder Mensch nimmt Informationen aus seiner Umwelt auf und verarbeitet sie. Bei einem Großteil der Menschheit funktioniert dies über ein ausgeklügeltes Filtersystem: Wichtige Informationen erhalten besondere Aufmerksamkeit, während zum Beispiel Umgebungs-geräusche als unwichtig eingeordnet und herausgefiltert werden.
Bei hochsensiblen Menschen ist dieser Filter aufgrund neurologischer Besonderheiten viel weniger ausgeprägt. So gelangt alles direkt ins Zentrum der Wahrnehmung: Ob das Summen des Druckers, das Gespräch am Nebentisch oder der Geruch des Blumenstrauß.
Aber auch gegenüber inneren Reizen wie Gedanken und Gefühlen oder körperlichen Empfindungen kann sich der hochsensible Mensch schlecht abgrenzen. Dazu kommt, dass die Informationsverarbeitung all dieser Reize viel ausführlicher und genauer abläuft.
Was genau hoch empfindsame Menschen allerdings im Einzelfall intensiver wahrnehmen, ist individuell verschieden. Einige nehmen z. B. Gerüche, optische, akustische oder haptische Eindrücke intensiver oder detaillierter wahr, andere bemerken feine Nuancen in zwischenmenschlichen Beziehungen und können sich tief in die Gefühle anderer hineinversetzen.
Dies kann so weit gehen, dass sie manchmal gar nicht mehr unterscheiden können, welche Gefühle zu ihnen gehören und welche nicht.
Drohende Überreizung
Permanente Wahrnehmung ist anstrengend. Es braucht Pausen zur Verarbeitung des Wahrgenommenen, aber auch zur Erholung der Nerven. Wenn Hochsensible nun permanent wesentlich mehr Informationen aufnehmen, so ist klar, dass sie diese Pausen schneller benötigen und schneller erschöpft sind und länger brauchen, bis sie sich wieder erholt haben. Sie sind schneller von all den auf sie eintreffenden Informationen „überreizt“.
Dauert die Überreizung an, führt dies zu Dauerstress. Und dies kann zu psychischen oder körperlichen Erkrankungen führen.
Ab wann und bei wem die Überreizung oder Überstimulation zu Stress führt, ist wiederum individuell verschieden und hängt z. B. von der Erziehung, dem Alter (Sensibilität nimmt mit dem Lebensalter zu) oder auch von erlernten Anpassungsstrategien in der Vergangenheit ab.
Hochsensibilität und Wissenschaft
Pionierin auf dem Gebiet der Hochsensibilität ist die amerikanische Psychologin Elaine Aron. In ihren langjährigen Forschungen hat sie zahlreiche Eigenschaften Hochsensibler zusammengetragen, die alle auf deren gründliche Reizverarbeitung zurückzuführen sind. Einen Auszug dieser Eigenschaften finden Sie hier.
Das Leben mit Hochsensibilität
Fakt ist: Hochsensibilität ist keine Krankheit sondern eine Eigenschaft der Persönlichkeit die bei 15 – 20 % der Menschen auftritt und bei Männern und Frauen gleich häufig vorkommt. Sie lässt sich bereits ab der Geburt feststellen und ist wahrscheinlich erblich.
Sie beeinflusst all unsere Lebensbereiche: den Beruf, das Zusammenleben in der Familie oder Partnerschaft, unseren Alltag. Haben wir hochsensible Kinder, dann prägt diese Charaktereigenschaft auch ihr Erleben in Schule, Kindergarten oder in ihrer Freizeit…
Unser Leben gestalten
Wenn der hochsensible Mensch lernt, sich mit seiner besonderen Persönlichkeit zu akzeptieren, wenn er versteht, warum er viele Situationen anders wahrnimmt, als Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder: Dann werden seine Eigenschaften sehr bereichernd sein. Viele Künstler sind hochsensibel. Aber auch unter Therapeuten, Pädagogen und Menschen, in sozialen Berufen findet man sie. Kein Wunder, zeichnet sie schließlich eine ganz besondere Empathie aus.
Unsere hohe Empfindsamkeit wird vermutlich für immer zu uns gehören. Zeit also, unser Leben an der ein oder anderen Stelle so zu verändern oder neu zu gestalten, dass es besser zu uns passt. Oft reichen schon kleine Veränderungen im Alltag aus, um wieder kraftvoller zu leben.
Herzlichst,
Ihre Anna